Coming-of-Age (D)

Walking Focus Group zu Jugendperspektiven in der ökosozialen Transformation von Stadt
07/02/2022
Elina Kränzle
Social Design Studio
Wien

Heute noch Äcker und Wiesen bis zum Horizont, bald ein dicht bebauter Stadtteil Wiens. In nur 25 Jahren wird Rothneusiedl am Stadtrand Wiens neuen Wohnraum für eine wachsende Stadt bieten. Schon jetzt wird am Zukunftshof als Drehscheibe für diesen Transformationsprozess die ökosoziale Transformation erprobt.  Welche Möglichkeitsräume werden Jugendlichen dabei zugestanden? Welche Rolle übernehmen sie in der Gestaltung von grüner Infrastruktur und Stadt? Als „Walking Focus Group“ erkundeten wir den Zukunftshof als einen möglichen Freiraum jugendlicher Teilhabe an städtischer Raumproduktion und diskutierten mit Akteur:innen aus Jugendarbeit, Wissenschaft und Verwaltung, die Einblick in ihre Perspektiven und Erfahrungen gaben. 

Während des Stadterkundungs-Festivals Urbanize! 2022 luden die Wiener Projektpartner:innen von Social Design, treecycle und Forschen, Planen, Bauen des Forschungsprojekts TRUSTMAKING zu einer gemeinsamen Begehung des Zukunftshof mit einem besonderen Themenschwerpunkt: Jugendperspektiven in der ökosozialen Transformation von Stadt. Denn, um nicht auf Zukunft zu verzichten, ist die Kooperation mit Jugendlichen, sind ihre Perspektiven und Fähigkeiten in städtischen Transformationsprozessen unumgänglich. Wo schon heute ein Wandel von städtischen Konsument:innen zu urbanen Produzent:innen und Lebensmittelproduktion im Stadtgebiet Wien mit einem Fokus auf sozialen Projekten und Bildungsprogrammen erlebbar gemacht wird, soll 2023 eines von vier Urban Living Labs des Projekts TRUSTMAKING entstehen. Das Projekt fokussiert dabei die Potenziale einer Gestaltung von öffentlichen Räumen und grünen Infrastrukturen gemeinsam mit Jugendlichen. 

Als Weiterentwicklung der Methode des „Walking Interviews“, erkundeten und diskutierten wir als „Walking Focus Group“ den Hof und seine Umgebung. Bei der der qualitativen Forschungsmethode des Walking Interviews führen Forschende beim gemeinsamen Spazierengehen rund um bestimmte Orte mit der teilnehmenden Person ein Gespräch, und erkunden dabei die Verbindungen zwischen Selbst und Ort. Das Interview wird meist mit Tonspur, Karte und Fotos aufgezeichnet und später ausgewertet. Als „Walking Focus Group“ setzten wir eine moderierte Gruppendiskussion vor Ort in Bewegung, um die Eindrücke der Umgebung in das gemeinsame Nachdenken über Möglichkeitsorte für Jugendliche Teilhabe einfließen zu lassen. Auch wir zeichneten die Diskussionen dabei auf und dokumentierten den Walk mit der Kamera. Als Impulsgeber der Diskussion waren Magdalena Augustin (Gassen aus Zucker/ Stadtkultur und öffentlicher Raum, TU Wien), Irene Bittner (kampolerta – Kollektiv für Landschaftsarchitektur, Kunst und Urbanistik), Andreas Gugumuck (Verein und Genossenschaft Zukunftshof), Korinna Lindinger (Kulturwissenschaften, Angewandte), und Isabella Steger (Werkstadt Junges Wien, Stadt Wien und WIENXTRA) dabei, die mit dem TRUSTMAKING Team und ca. 20 anderen Interessierten und Festivalbesucher:innen an verschiedenen Stopps am Weg diskutierten. 

Hof – Impuls von Andreas Gugumuck 

Andreas Gugumuck gab einen Überblick über das Zwischennutzungskonzept ökosozialer Stadtlandwirtschaft, im Rahmen dessen der Verein und die Genossenschaft den Zukunftshof seit 2019 bespielen. Von Schnecken- und Pilzbauern, über nachhaltige Stadtmöbel, bis hin zu Landwirtschaftskulturprojekten zeigen unterschiedliche Akteur:innen vor Ort, wie man Stadt und Landwirtschaft zusammen denken kann. Mit WUK.workspace ist außerdem ein Sozialprojekt vertreten, das Jugendliche beim Übergang von Schule zu Beruf unterstützt. Die Jugendlichen wiederum leisten einen großen Beitrag zur Instandsetzung des Zukunftshof. Wie diesen Jugendlichen auch in Bezug auf die bevorstehende Entwicklung des Gebiets und die Rolle des Zukunftshof als ein Zentrum Platz für Mitgestaltung zugestanden werden kann, wollen wir im Projekt TRUSTMAKING erforschen. 

Kosmos Kuriosum Pavillon – Impuls von Magdalena Augustin 

Vor dem Pavillon des Techno-Kollektivs Kosmos Kuriosum, das seit 2020 Techno-Partys auf dem Zukunftshof organisiert, ging die Stadtforscherin, Kulturaktivistin und DJ Magdalena Augustin auf die durch Musik-Kollektive und Clubkultur angeeigneten Räume als wichtige Experimentierorte für Jugendliche und junge Erwachsene ein. So ein Möglichkeitsort braucht vor allem viel Freiheit: Die Freiheit laut zu sein, beim Bauen und Gestalten in allen Arbeitsprozessen mitanpacken zu können, in informellen Strukturen mit flachen Hierarchien zu arbeiten. Am Zukunftshof gibt es diese Freiheit und so das Potenzial eines Ortes, „der rund um Musik gebaut ist“, als Sozialraum, Aneignungsort, Zentrum für Gemeinschaft, selbst-organisiert und co-kreiert. 

treecycle Baumschule – Impuls von Theresa Schütz, Johannes Wiener und Gregor Kiask 

Das Team von treecycle führte über die projekteigene Baumschule und erläuterte die ökologische Bestellung der Flächen, die blühenden Pflanzen und wachsende Insektenvielfalt im Garten, und den Wert der nährstoffreichen Böden rund um den Zukunftshof. All diese Aspekte ökologischer Landwirtschaft stellen einen wichtigen Teil der Vermittlung im Bildungsprojekt Job-Fit dar, bei dem treecycle mit einer Gruppe Jugendlicher am Zukunftshof arbeitet. Dabei hands-on einen wertvollen, sicht- und greifbaren Beitrag in der Baumschule und beim Bau und Bepflanzen der Stadtmöbel zu leisten schafft Vertrauen zwischen den Jugendlichen und dem Team, und nicht zuletzt schafft Vertrauen der Jugendlichen in sich selbst. TRUSTMAKING als Teil einer Arbeitssituation zu erleben ist ein Kernaspekt der Arbeit von treecycle.

Garten – Impuls von Korinna Lindinger 

Korinna Lindinger, Soziologin und Künstlerin, knüpfte daran mit einer Diskussion der Begriffe Jugend und Jugendlicher an – wer ist mit Jugend gemeint? Wer mit Jugendlichen? Welche Begriffe können wir verwenden, ohne dabei sehr unterschiedliche Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen zu verallgemeinern? Im Hinblick auf die in Österreich wachsende Kinder- und Jugendarmut und den ungleichen Zugang zu und Repräsentation von bestimmten Gruppen in ökosozialen  und Jugend-Bewegungen plädierte Sie für dahingehend sensible Beteiligungsformate.  

Sitzmöbel im Hof – Impuls von Isabella Steger 

Zurück im großen Hof fanden die Teilnehmer:innen Platz auf den Stadtmöbeln von treecycle, wo Isabella Steger das Projekt Werkstadt Junges Wien vorstellte. Das Projekt sammelte 2020 über ein Spieleset, das an Schulen und vielfältige Träger von Kinder- und Jugendarbeit ausgesendet wurde, zum ersten Mal Wien-weit Meinungen, Ideen, und Wünsche von Kindern und Jugendlichen zur Verbesserung und „Reparatur“ der Stadt. Auch hier wurde die Teilhabe Kinder und Jugendlicher aus verschiedenen Bildungshintergründen diskutiert – Welche Institutionen haben das Spiel tatsächlich angenommen und umgesetzt? Wer kann an einer online Abstimmung teilnehmen und wer wird davon vielleicht ausgeschlossen?

Felder und Scheune – Irene Bittner 

Zum Abschluss der Walking Focus Group erkundeten wir die Felder rund um den ehemaligen Haschahof, wo wir uns vor der alten Scheune vor einem großen Luftbild des Areals einen Überblick über die Dimensionen der geplanten Stadtentwicklung machen konnten. Die Zukunft Rothneusiedls als dicht bebautes Stadtviertel vor Augen gab der letzte Impuls Einblick in die Aneignung öffentlicher Räume durch Jugendliche im dicht bebauten 20. Bezirk Wiens. Die Landschaftsarchitektin Irene Bittner stellte ihre dazu erarbeitete Studie (2015) vor und erläuterte die unterschiedliche Bewegung in und Aneignung von Freiräumen von jugendlichen Frauen und Männern. Auch die soziale Herkunft spielt dabei eine Rolle, gerade Kinder und Jugendliche, die in engen Wohnverhältnissen oder in Armut aufwachsen, brauchen den Freiraum öffentlicher Raum – er ersetzt dabei sowohl Räume für Bildung als auch für Freizeit. 

Collective Mapping 

In einem gemeinsamen Mapping teilten die Teilnehmer:innen ihre Perspektiven, Wünsche und Ideen für eine Stadtentwicklung, die Rücksicht auf Jugendliche, ihre Wünsche und Bedürfnisse nimmt. Was können wir von der bestehenden Stadt lernen? Wie können wir Freiräume und Brachen als Möglichkeitsräume subkultureller Aneignung in ihrer Offenheit für Kinder und Jugendliche erhalten? Wie können wir Prozesse der Vertrauensbildung ermöglichen? Um die Zukunft Rothneusiedls nicht zu verbauen, sondern die Bedürfnisse und Wünsche Jugendlicher mitzudenken, sollten wir heute Freiräume für das erhalten, was sich vielleicht erst morgen als relevant herausstellt.