Die Lösung der Klimakrise beginnt in Rothneusiedl

Klimagärtnern mit Terra Preta

10/01/2023
Sebastian Hafner
forschen planen bauen
Wien

Im Rahmen des JPI Urban Europe Projekts „TRUSTMAKING“ liefern Jugendliche durch die Anwendung einer alten Kulturtechnik zukunftsweisende Impulse für die Stadtentwicklung im Süden Wiens. Lokale materielle und immaterielle Ressourcen spielen dabei ebenso eine Rolle wie der Ansatz des Klimagärtnerns, wodurch nicht nur gute Ernten eingefahren, sondern auch Treibhausgase wie Kohlenstoff gebunden werden.  

„Terra Preta“ ist portugiesisch und bezeichnet eine tiefschwarze und fruchtbare Erde. Solche findet man in großen Mengen im Amazonasgebiet in Südamerika und das, obwohl die Böden dort als karg und nährstoffarm gelten. Das stellte Forscher:innen vor ein Rätsel: Jahrelang haben sie geglaubt, dass im Amazonas zwar Wald wachsen, aber keine Landwirtschaft betrieben werden kann.  

Die Lösung des Rätsels: Die Ureinwohner*innen des Amazonas stellten Terra Preta selbst her, um die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen und sich mit Nahrungsmittel zu versorgen. Wie haben sie das gemacht? Sie verstanden es Ressourcen intelligent zu nutzen, sodass nichts vergeudet wurde, denn die Natur kennt keine Abfälle. Dabei spielte Holz- und Pflanzenkohle eine wichtige Rolle.  

Zwischen fruchttragenden Bäumen legten sie ihre Felder und Waldgärten an. Die Kombination von Wald- und Landwirtschaft ist bei indigenen Völkern bis heute noch ein verbreitetes Bewirtschaftungssystem und war auch in unseren Breitengraden üblich. Restholz und Pflanzenreste wurden für die Herstellung von Holzkohle verwendet. Im Zuge der Industrialisierung der Landwirtschaft ist dieses Produktionssystem in Vergessenheit geraten. Ein Haufen Holzkohle gemischt mit täglich anfallenden Abfallstoffen z.B. aus der Küche könnte eventuell das „Rezept“ für die zufällige Herstellung von Terra Preta gewesen sein. Die Qualität des ansonsten nährstoffarmen Urwaldbodens konnte so durch den Aufbau organischer Masse bzw. Humus und das Binden von Nährstoffen deutlich verbessert werden. 

Mit Terra Preta Böden haben die Ureinwohner*innen des Amazonas sichere Ernten erzielt, was schließlich zum Aufbau von Städten und ganzen Kulturen führte. Doch was bedeutet diese alte Kulturtechnik für uns heute? Wie kann sie uns bei der Bewältigung der Klimakrise helfen und dazu beitragen unsere Städte zukunftsfähig zu machen?  

A Burning Ring of Pflanzenreste. 

Der Schlüssel dazu ist die Holzkohle. Diese entsteht durch Verkohlen von Baum- und Grünschnitt. Ein Teil der pflanzlichen Reststoffe verwandelt sich also nicht bei der Verrottung in CO2, sondern wird stabile, schwer abbaubare, porenreiche Pflanzenkohle und kann dem Boden beigemengt werden. Kohlenstoff wird also gebunden, pflanzenverfügbar gemacht und führt so bei gleichzeitiger Senkung von klimaerwärmenden Treibhausgasen zu ausgesprochen guten Ernten. Eine Win-Win Situation.

Beim Zukunftshof in Rothneusiedl stellen sich treecycle – urban eco-solutions mit forschen planen bauen – Thomas Romm ZT die Aufgabe diese alte Kulturtechnik für neue Anwendungsgebiete in der Stadt im Klimawandel zu Nutze zu machen. Die Stadt als Ökosystem zu verstehen, heißt in Kreisläufen zu denken. Das ist bei der Herstellung von Terra Preta Substraten essenziell.  

Die Stadt als Kreislauf und Klimagarten. 

In direkter Nachbarschaft zum Zukunftshof befindet sich das Entwicklungsgebiet Kurbadstraße, auf dem die Errichtung von 750 Wohnungen geplant ist. Das macht die Rodung der derzeit auf dem Gelände stehenden Bäume unvermeidbar. Doch gerade dieser Grünschnitt kann als Pflanzenkohle für Terra Preta zum Klimaschutzagenten und Nährstoffspeicher werden. Stellen wir uns vor, die Hochbeete auf den Dächern der künftigen Wohnungen in der Kurbadstraße werden mit Terra Preta befüllt und liefern einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität und versorgen nebenbei den neuen Stadtteil ganzjährig mit lokalem Gemüse. 

Wir nehmen die Herausforderung an und erst einmal die Spaten in die Hand. In Rothneusiedl erforschen wir gemeinsam mit Jugendlichen das Potenzial von Terra Preta Substrat im Rahmen eines Urban Living Labs. Holzkohle lässt sich relativ einfach herstellen. So kann etwa in kleinen, kegelförmigen Erdlöchern – sogenannte Kon Tikis – Biomasse aus Baumschnitt oder Pflanzenresten aufgeschichtet werden, angezündet, und unter Entzug von Sauerstoff verkohlt und abgelöscht werden. Diesen Vorgang nennt man Pyrolyse. Beim gemeinsamen Lernen im Tun geht es nicht nur ums Experiment, sondern insbesondere um die Stärkung von Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit bei der Lösung der Klimakrise. 

Die vorteilhaften Eigenschaften der Pflanzenkohle  

Ein Kilogramm Pflanzenkohle speichert ein Vielfaches an CO2 (vgl. Lehmann et al. 2006). Anstatt in die Atmosphäre zu gelangen, ist der Kohlenstoff langfristig im Boden eingelagert und kann nicht zur globalen Klimaerhitzung beitragen. Daher wird die Erhöhung des Kohlenstoffgehalts durch Terra Preta auf allen landwirtschaftlichen Böden vom Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) als eine der Technologien zur langfristigen Entfernung von CO₂ aus der Atmosphäre gelistet (vgl. BMLFRW 2022). Einige Quellen rechnen sogar vor, dass die Anwendung von Terra Preta auf allen landwirtschaftlichen Böden weltweit die atmosphärische CO2-Konzentration auf vorindustrielles Niveau senken könnte. Auch wenn diese Annahmen nur theoretisch und vielleicht zu euphorisch sind, zeigen sie doch das massive Potenzial dieser Kulturtechnik bei der Bewältigung der Klimakrise. 

Terra Preta Substrate können außerdem zum Humusaufbau im Boden eingesetzt werden: Das Potenzial bei einer Verwendung von Terra Preta beträgt bis zu 15% Humusgehalt im Boden (vgl. Scheub et al. 2013) – konventionell bewirtschaftetes Ackerland hat hierzulande  einen durchschnittlichen Humusgehalt von 2,5 – 4 Prozent (vgl. Dersch et al. 2013). Ernährungssouveränität oder alternative Energieversorgung bei der Nutzung der Pyrolyse-Abwärme sind nur zwei der „Nebeneffekte“ der Terra Preta Herstellung. 

Vom Kleinen ins Große kommen 

Wir stehen am Acker angrenzend an den Zukunftshof am Stadtrand von Wien, das Terra Preta Substrat in Händen, mit Blick ins weite Feld und dem Wissen, dass hier zukünftig ein neuer Stadtteil entsteht. Die Jugendlichen nehmen hier ein Stück Stadtentwicklung vorweg und mischen die schwarze Erde dem Ackerboden bei und setzen einen Obstbaum am Feldrain. Jugendliche setzen mehr als ein Zeichen und beweisen, dass selbst kleine Schritte etwas verändern können, wenn man sich mit anderen zusammentut. Denn etwas so Banales wie das Herstellen von schwarzer Erde hat in Bezug auf die Klimakrise durchaus Wirkmächtigkeit. Vom Kleinen ins Große kommen. Nirgendwo wird dieser Zusammenhang so deutlich wie in Rothneusiedl.  

Quellen 

Dersch, G.; Spiegel, H.; Hösch, J.; Haslmayr, H.P.; Baumgarten, A.; Scheriau, S.; Hölzl, F. und Recheis-Kienesberger, J. (2013): Humusgehalt, Säuregrad und pflanzenverfügbare Phosphor- und Kaliumgehalte auf Acker- und Grünland in Oberösterreich. AGES – Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, Wien.  

Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft (2022): Humus in Diskussion. Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft, Wien.  

Lehmann, J.; Gaunt, J; Rondon, M. (2006): Bio-Char Sequestration. In: Terrestrial Ecosystems – A Review. Mitigation and Adaptation Strategies for Global Change 11: 403–427.  

Scheub, U.; Pieplow, H.; Schmidt, H.P. (2013): Terra Preta – Die schwarze Revolution aus dem Regenwald. Oekom Verlag, München.