Auf zum Pflasterstrand! Eine Radtour in die Zukunft, quer durch Wien

09/08/2023
Elina Kränzle & Sebastian Hafner
Social Design Studio/ forschen planen bauen
Wien

Wo finden wir in der Stadt den Strand? Wie klingt Asphalt? Und wann warst du das letzte Mal auf einem Feld? Mit diesen Fragen im Gepäck machte sich das TRUSTMAKING Living Lab Wien gemeinsam mit Jugendlichen von WUK work.space als Kollektiv auf Velos auf den Weg vom Stadtzentrum zum Zukunftshof am Stadtrand. Entlang der Route lernten wir verschiedene Initiativen kennen, spürten Bodenschätze auf und entdeckten Pflasterstrände und eröffneten während des Angewandte Festivals radelnd Perspektiven auf eine sozial- und klimagerechte Zukunft der Stadt.

1. Start am OKP

Im Schatten der temporären Baumschule am Oskar-Kokoschka-Platz wurden nochmal alle Fahrräder aufgepumpt und mit Fahnen geschmückt, ein Soundcheck am Soundbike vorgenommen und alle Radler*innen mit Müsliriegeln versorgt, bevor wir als kritische Masse Richtung Kunst Haus Wien aufbrachen.

2. Pump Up the Heat! 

Wir heizen uns auf! Oder kühlen uns ab? Durch eine hydrothermische Sanierung bekommt das Kunst Haus Wien, einst vom Ökopionier Friedensreich Hundertwasser gestaltet, eine nachhaltige Klima- und Belüftungsanlage. Durch Bohrungen unter dem Kunst Haus macht man sich dafür die Kühl- und Wärmekraft des Grundwassers zu Nutze. Vermittlerin Jasmin Ofner und Gewässerökologin und Künstlerin Christina Gruber gaben Einblicke in die Sanierung des Gebäudes und die Outdoor Ausstellung CLOSE/D, die spannende Perspektiven auf Klimaerhitzung und planetarische Ökosysteme im lokalen, nachbarschaftlichen Kontext eröffnet.

3. Baden erlaubt!

Im Sophiengarten, einem öffentlichen Gemeinschaftsgarten, hat der Schwimmverein Donaukanal die Badesaison bereits eröffnet und versucht dort die lange Geschichte der öffentlichen Badekultur wiederzubeleben. Schwimmen, ein Sonnenbad oder sich von der Strömung treiben lassen – Johannes erzählte uns, wie sich der Verein dafür einsetzt, die einstige „Riviera der Arbeiter:innenklasse“ wieder aufblühen zu lassen, an den vielen potenziellen Pflasterstränden des Donaukanals, mitten in Wien. Unser Kollektiv rollte gemütlich weiter den Donaukanal entlang, bevor wir wieder in grauere Stadtteile vordrangen: Vorbei an den Town Town Türmen, über Würtzlerstraße und Baumgasse Richtung St. Marx.

4. Die Betonwüste lebt!

Dass der graue Pflasterstrand zu einem lebendigen Ort werden kann, zeigte uns hier die Initiative Neu-Marx für alle. Mehrere selbstorganisierte, nicht-kommerzielle Gemeinschaftsprojekte wie ein Skatepark oder der Neumarx-Garten machen deutlich, dass Boden im öffentlichen Raum ein gestaltbares Gemeingut ist, auch wenn er von einer dicken Betonschicht überdeckt ist. Nach einer Verschnaufpause im Beton-Pool des Skateparks und der Sichtung von Bohrprofilen, die tief unter die versiegelte Oberfläche von Neu-Marx blicken lassen, lagen vielbefahrene Straßen und auch einige Höhenmeter vor uns: über die Simmeringer Hauptstraße, am Enkplatz vorbei, über Seitenwege und Bahngleise hoch zur Löwygrube. 

5. Wiener Bodenschätze 

Die Löwygrube, heute ein beliebtes Naherholungsgebiet der Wiener:innen, trägt noch die Spuren seiner Geschichte als Lehm-Abbaugebiet für die Ziegelherstellung in der Gründerzeit. Die Transformation einer ganzen Landschaft im Süden Wiens ist auch Symbol für den industriellen Aufschwung im 19. Jahrhundert. Die LaaerBergBauerinnenkultivieren heute noch die Bodenschätze der Löwygrube, allerdings sind diese essbar. Landwirtschaftliche Produktion, gemeinschaftlich, solidarisch und ökologisch, macht den Boden als Ressource sichtbar und zollt dem Ort und seiner Geschichte Respekt. 

6. Schlammpackungen und Bodenproben

Alles nur noch Wellness? – Wo sich heute noch graue Verkehrsflächen und Parkplätze der Therme Oberlaa befinden soll in den nächsten Jahren ein großflächig entsiegeltes Wohngebiet entstehen. Im Wohnquartier Kurbadstraße – klimafit leben an der U1 werden derzeit die Boden- und Wasserverhältnisse unter dem Asphalt untersucht. Was verbirgt sich unter der Asphaltdecke?  – die Baurohstoffe der künftigen Stadt, ein grüner Park, oder Material für eine Schlammpackung? Bei 30 Grad im Schatten entschloss sich das Kollektiv gegen die Schlammpackung und für den direkten Weg zum Stadtrand.

7. Ans Schwarze Meer!

Der Liesingbach geleitete uns nicht nur zur letzten Station unserer Radtour, sondern auch ans Schwarze Meer. Über seine Mündung in das Gerinne der Schwechat und schließlich in die Donau verbindet er Pflasterstrand und Meeresstrand. Der 30km lange Bach wurde im Laufe der Geschichte immer wieder reguliert. Seit einigen Jahren werden wasserbauliche Maßnahmen aber rückgebaut, der Fluss renaturiert und so Lebensräume für Tiere und Pflanzen geschaffen. Wir können es kaum erwarten endlich anzukommen und treten nochmal beschwingt in die Pedale. 

8. Feldpicknick und Badeschluss

Wir landen im Grünen, und werfen einen Blick in die Zukunft! Der Pflasterstrand präsentiert sich uns als weites Feld und als einer der letzten Orte in Wien, an dem landwirtschaftliche Produktion im großen Maßstab stattfindet. Für das künftig hier entstehende Stadtentwicklungsgebiet ist der Zukunftshof ein Reallabor für den Aufbau ressourcenschonender, urbaner Ernährungssysteme sowie für die Mitgestaltung grüner Infrastrukturen von Jugendlichen. Die Jugendlichen von WUK work.space arbeiten hier bereits seit 2021 unter fachlicher und sozialpädagogischer Anleitung an verschiedenen innovativen Projekten und Aufgaben mit, die gleichzeitig dem Aufbau des Zukunftshofs als auch ihrer persönlichen Weiterentwicklung dienen. 

Für heute heißt es „Badeschluss am Stadtrand“: Nach ca. 15km ausdauerndem Radeln (und nur einer Panne!) sind wir angekommen und lassen die Tour mit einem Picknick ausklingen. Das Fazit: Der Weg zu einer klimagerechten Stadt führt quer durch Wien, zu blühenden Gstettn und wiedereroberten Freiräumen und manchmal auch gegen Einbahnen, vor allem solche in der Stadtplanung.